die entstehung des buches ähnelt dem aufwickeln von texten auf eine spule, deren herzstück zuerst auf russisch geschriebene gedichte einschließt. da ich mich meiner umgebung mitteilen wollte & musste, übertrug ich sie ins deutsche. es waren keine
„richtigen“ übersetzungen, sondern rekursiv umgeschriebene fragmente, die gleiche keime beherbergten. zu meiner verwunderung fanden manche texte erst auf deutsch ihren richtigen klang und rhytmus, erst dadurch wurden alle ihre schichten freigelegt. ab da schrieb ich überwiegend auf deutsch.
ausgerechnet die zweisprachigkeit gebar mich-dichterin. sprachen wirkten befruchtend aufeinander, auch mich beeinflußten sie, wer da eher eine schöpferische funktion trug – eine henne-ei-frage. so habe ich immer wieder fest stellen müssen, wie mein deutschschreibendes ich sich vom russischschreibendem unterscheidet. es war rationaler, reflexionsreicher, mit dem konnte ich absprachen halten, es war logischer veranlagt und emotional nicht sofort aus der ruhe zu bringen. auf ihn war verlass. sein muttersprache-pendant neigte zu pathos, gar hysterie, diese erkennen und versuchen zu erziehen war nur mithilfe der pflegemuttersprache möglich.
im abschweifmodus: meine pflegemutter ist lieb und ehrlich zu mir, zur meiner muttersprache habe ich mittlerweile ein zwiespältiges verhältnis. ich wuchs in einem land auf, welches es nicht mehr gibt. ich wanderte aus dem land aus, das vom mutterspracheträgerland überfallen ist. krieg ist da zu alltag geworden, wenn auch hiesige nachrichtenerstattung es nicht zu merken vermag. ich war vor kurzem in litauen, da war ich peinlich berührt – auf einmal hatte ich hemmungen, russisch zu sprechen. politische ereignisse in ländern, wo ich vor 20-30 jahren lebte, beeinflußen mein verhältnis zur sprache. kann die sprache was dafür? – nein, kann sie nicht. aber was stört mich, was für ein kiesel im schuh, was für ein nagel im hinterkopf? offenkundig, wie ein teenager, der seiner mutter vieles vorzuwerfen hat, beschränke ich mich auf meine pflegemuttersprache. mein akt der befreiung.
eine bewegung in und zwischen zwei sprachen bedeutet viel mehr als das verdoppelte wortgut. vergesst das multiplizieren, wir betreten exponentielle bereiche: ein vokabular als basis, zwei sprachen als exponent, und schon bietet der potenzwert des denkens und schreibens ganz andere perspektiven. so transformieren sich diverse, ja babylonische muttersprachen und steigen zu einer „muttersprache des menschlichen geschlechts“ auf – zur poesie (frei nach Hamann). so werde ich resonatorisch versorgt, werde zum urmeter meiner ausbreitenden ausdrucksmöglichkeiten. es wird unwesentlich, wer die mutter war, wer – die pflegemutter, wo die vergangenheit lag, wo – die zukunft, was die heimat mal bedeutete, was – das ewige fremdsein, was sich im hintergrund abspielte, was – selbst grund und boden darstellte.
das buch – meine art zu expandieren. expansion, das weiß jede pusteblume, ist die möglichkeit, dem nichts zu entrinnen. das buch ist mit dieser idee durchgesteppt, dass sich alles darum dreht, in sich verschachtelt, tritt erneut hervor und streckt die zunge raus. „deine gedichte sind klüger als du“.
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interview, gedichte und dieses statement zum buch „kill-your-darlinge“ wurde in OSTRA_GEHEGE #96 veröffentlicht. ISSN 0947-1286. komplette lagebesprechung zu lesen hier.