100 Ansichten des Landes Nihon

3. Auf dieser Reise werde ich mich mehrmals von der Reisegruppe abseihen. Ich möchte mein absolutes Fremdsein physisch erspüren, der Sprache, die ich nicht Mal annähernd verstehe, lauschen, die radikale Andersartigkeit der Umgebung antasten, mich irgendwo in der Schwebe der U-Bahn absetzen. Ein Fremdkörper zu sein ist befreiend, danach sehne ich mich.

4. Ausgesprochen touristische Asakusa ist für den zweiten Tag meiner Reise genau das Richtige. In Senso-ji, dem ältesten buddhistischen Tempel Tokyos, bin ich mit einer guten Zukunftsprognose beglückt. Buddha ist den Touristen wohlgesinnt – alle Prophezeiungen, die man nach so etwas Ähnlichem, wie Würfeln, aus den nummerierten Schublädchen zieht, sind auch auf English geschrieben. Die Japaner selbst sprechen kein gutes English, zumindest auf der Straße und in Einkaufsläden nicht, so fühle ich mich nicht mehr wie ein Schlusslicht.

5. An jeder Ecke steht ein Automat mit Getränken in Dosen und Plastikflaschen: Cola und andere Limonaden, allerlei Tees und Kaffees warm und kalt, sowie warme Maissuppe und konzentrierte Dashi-Brühe. Kartoffel, Eier, manche Früchte sind in Supermärkten einzeln zu kaufen, einfallsreich eingeschweisst, eingewickelt. Plastik ist allgegenwärtig, das ist paradox angesichts der japanischen Naturbezogenheit. Handys im öffentlichen Verkehr sind nicht gestattet, Essen auf der Strasse oder in der U-Bahn ist verpönt. Das Erste begrüße ich sofort, dem Zweiten beuge ich mich rücksichtsvoll. Es gibt nämlich nette Ausnahmen: Jeder darf seine Bento-Box im Shinkansen oder während der Lunchzeit im Park auspacken. 

Veröffentlicht von

juliag

Julia Grinberg, Mitglied des „Salon Fluchtentier“. Zu hören bei Lesezimmer.de, zu lesen online bei: Fixpoetry, Verlagshaus Berlin, Signaturen, analog bei Seitenstechen (Homunculus Verlag), MosaikZeitschrift, außer.dem, All Over Heimat, OSTRAGEHEGE, Jahrbuch der Lyrik 2021. Debütband "kill-your-darlinge" ist 2019 erschienen. Header-Bild: Alexander Paul Englert