„Also die Fragen. Es sind eher Sätze, die sich an der Schwelle zwischen Fragen und Behauptungen befinden, und wie kann es auch anders sein – in dem Roman verschmelzen Erinnerung und Erschaffung der Vergangenheit durch Benennung. Tarnawsky schreibt ja nicht „Tanzten Vater und Mutter?“, nein, er schreibt „Vater und Mutter tanzten?“ – als ob er sich nicht ganz sicher wäre, aber sich fast um jeden Preis mit dieser Frage selbst überzeugen will: ja, sie tanzten! Sie tanzten, sie „zogen komplexe unbegreifliche Muster auf dem Untergrund des Fußbodens nach“.
Der Erzähler ist ein zartbesaiteter Junge, der – am liebsten unter dem Bett der Eltern eingeklemmt, sein eigenes ist ja zu hoch – seine Geschichten erfindet. Gnome wecken die Zeit in Gläser ein und bekämpfen einen Drachen, ein erträumter Bruder, dem der Junge Essen und Kleidung auf dem Wasserweg schickt (in den Bach legt, der Bach soll es zum Fluss bring
en, der Fluss zum Ozean, da wartet der Bruder auf es), geht „in die Pilze“.
„Es war heiß im starken Sonnenlicht auf den Lichtungen, Insekten summten auf ihnen wie eine Harfe, die gezupft und in das Gras geworfen worden war und nicht aufhören würde zu erklingen…“
Er spielt am Fluss:
„Die Wellen waren klein und sie schienen geistesabwesend auf dem Sand zu brechen, wie Bewegungen, die Menschen, ohne sich dessen bewusst zu sein, mit ihren Fingern machen, wenn sie nervös sind“.
Er fährt mit seiner Familie ans Meer.
„Eines Tages kamen zwei Männer mit einem großen Kleiderschrank aus den Dünen. Sie waren schäbig gekleidet und ungepflegt und sahen aus wie Hobos. Sie gingen ins Wasser, ließen den Kleiderschrank hinein und schwammen neben ihm, während sie ihn vom Ufer wegstupsten. …
Die Leute sprachen tagelang darüber, und in den Zeitungen gab es Berichte darüber, aber niemand wusste, wer die Männer waren, warum sie das getan hatten und was mit ihnen geschah. …
Aber ich wusste, dass … die Männer wollten nur den Kleiderschrank mit aufs Meer nehmen. Warum war das so schwer zu verstehen?“
Komplette Rezension auf Lyrikkritik zu lesen.
Yuriy Tarnawsky, Warme arktische Nächte. Aus dem Englischen übersetzt von Christian Weise. ibidem. Edition Noema. Stuttgart 2021. 177 Seiten