Im kleinen dunklen Flur steht ein Trumeau, an dessen Rückseite sich rechts ein kleines Hebelchen versteckt. Wenn man es nach oben drückt, erhellt sich der Spiegel, erfasst und verdoppelt sein Gegenüber. Auf dem Trumeau steht eine Sektflasche, zu einem Drittel mit Münzen gefüllt.
Das Geld ist knapp. Es reicht gerade so, zum Feiern aber nie, da müssen die Eltern sich immer Geld leihen. Deswegen beschließen sie, nach jedem Einkauf die Münzen in der Flasche zu sammeln; irgendwann ist sie voll, wäre das nicht ein Grund zum Feiern?
Das Kind fühlt sich zur Flasche hingezogen. Nicht, weil sie sich dunkelgrün und trotzdem durchsichtig im Spiegel verdoppelt – die Münzen verdoppeln sich! Je voller die Flasche ist, desto unwiderstehlicher ist der Drang, ein paar Münzen herauszunehmen. Nicht viel, heute eine Münze, morgen zwei und an anderen Tagen noch ein bisschen mehr. Man sieht es der Flasche nicht an.
Das Kind ist stolz auf sein cleveres Vorgehen. Die kleinen Geschenke, die es unter Schulkameraden verteilt, machen es beliebt. Oder sagen wir es erst mal anders: Die Geschenke machen das Kind für andere bemerkbar. Die Eltern schöpfen nicht mal den kleinsten Verdacht. Eines Tages kommt die Mutter früher nach Hause, und nun steht es schlecht um das Kind.
Es hört sie nicht kommen, weil eine widerspenstige Münze in dem Flaschenhals feststeckt. Als das Kind plötzlich Mutterdoppel vor sich sieht, wird ihm das Ausmaß seines Vergehens auf einen Schlag bewusst. Es ist nicht zu verzeihen. Würde die Mutter im Chor mit dem Spiegel schreien, wäre die Strafe zu milde. Hätte sie es jetzt es geohrfeigt oder verdroschen, hätte das Kind das mit Fassung getragen. Aber sie führt es ins Zimmer, sagt: „Wir warten auf den Vater“, und schlägt die Tür zu.
Noch nie hat das Kind etwas über Gott und das Beten gehört, sonst würde es beten, dass der Vater schneller nach Hause kommt, nach dem Riemen verlangt (nicht dem breiten, sondern dem dünnen, aus Leder). Dann macht er aus dem Kind ein Zebra, nur die Streifen sind lila, sonst passt es – damit wird alles wieder gut. Darum würde das Kind beten, leider weiß es nicht, wie es geht und weiß, dass auch diese Strafe ihm nicht vergönnt sein wird. Die Zeit bis zu Vaters Heimkehr scheint unendlich. Als er da ist, beratschlagen er und die Mutter sich in der Küche.
Das Kind packt seine sieben Sachen, es ahnt, wie das hier ausgeht. „Das Heim ist weit weg, jetzt ist es zu spät, wir fahren morgen um sieben hin“, sagt die Mutter. „Jetzt geh schlafen. Hast du deine Sachen gepackt?“
Vom Unglück erschöpft, weint sich das Kind in den Schlaf. Als es aufwacht, ist es schon spät. Heute ist Samstag. Die Eltern sind bestens gelaunt und haben nicht vor aufzustehen, es hört sie in ihrem Schlafzimmer kichern. Das Kind spitzt noch einige Zeit die Ohren, bis es seinem Glück glauben kann.