päpstliches purpur

die enttäuschung war bitter, endgültig, nicht verhandelbar. nach all den vielen versprechungen – ein fettes fiasko am letzten tag. den kopf müsste ich irgendwie abschalten, komplett, radikal, müsste ihn stopfen mit unsinn, mit rituellen handlungen, mit katatonischem flachs.

ein hutgeschäft kam mir entgegen. 

den hut aufsetzen, vor dem spiegel herumposen, sich hin und her drehen, grimassenwechsel, absetzen.

den hut aufsetzen, vor dem spiegel herumposen, sich hin und her drehen, grimassenwechsel, absetzen.

den hut aufsetzen, vor dem spiegel herumposen, sich hin und her drehen, grimassenwechsel, absetzen.

nach mehrfachem an und aus habe ich einen floppy-hut gekauft, farbbezeichnung „päpstliches purpur“.

was im laden angebracht war, erschien draußen eklatant deplatziert. ich verspürte den wunsch, zu einem winzigen punkt zu schrumpfen, meine umgebung mit mir selbst zu durchstechen, in diesem loch zu verschwinden.

innerlich über meine idiotie fluchend, erreichte ich die u-bahn-haltestelle, betrat die rolltreppe. der hut beanspruchte übermäßig viel platz, zog übermäßig viel aufmerksamkeit auf sich. es war unmöglich, sich unter ihm zu verstecken. tränen stiegen hoch. bloß nicht! zurückhalten, durchhalten, panik ersticken!

es blieb mir nichts anderes übrig: brust raus, kopf hoch. was tut man sonst auf dem schafott? der hut sagte: „hör auf zu schrumpfen! du nimmst zu viel platz ein? unsinn, du hast das gleiche recht auf gleichen platz, wie die anderen. du darfst spuren nicht hinterlassen? das hat den indianern nicht geholfen und wird auch dir nicht helfen. kein lärm, kein schall, kein rauch? es kommt von selbst – wenn du tot bist. und nun hör auf, die wände anzustarren“.

erst gelang es mir,  spiegelungen der passagiere in den fenstern anzuschauen. dann schaffte ich es, auf die stirnen zu blicken. dann in die augen. in die augen! – und lächelte schwach. das schafott verwandelte sich in eine bühne.

ein mädchen ging an mir vorbei und sagte: „sie sehen aber cool aus! und ihr hut ist so fancy!“ ich bedankte mich bescheiden, aber mit königlicher würde, als hätte es für mich nichts alltäglicheres sein können.

zwanzig minuten später schritten wir mit dem hut aus der u-bahn in das windige  grau-weiß, wo wir die natascha trafen. wir sahen uns an und und fingen an zu lachen, und lachten lange, und konnten nicht mehr aufhören, während die leute sich nach uns, den schallend lachenden, umdrehten, und lächelnd weitergingen.

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die Erzählung widme ich Natascha P., meiner lieben, witzigen, schlagfertigen, klugen Freundin aus Dnipro, die aus Tschernihiws Gebiet kommt, wo ihreFamilie immer noch lebt, die selbst aber seit Jahrzehnten in Moskau lebt, mit einem russischen Mann verheiratet. 

Veröffentlicht von

juliag

Julia Grinberg, Mitglied des „Salon Fluchtentier“ und Darmstädter Textwerkstatt. Zu hören bei Radio Lora München, Lesezimmer.de, zu lesen online bei: Verlagshaus Berlin, Signaturen, analog bei außer.dem, All Over Heimat, OSTRAGEHEGE, Jahrbuch der Lyrik 2021 (Schöffling), Worte in finsteren Zeiten (S.Fischer), Risse und Welt (Dillmann). Debütband "kill-your-darlinge" (Gutleut) ist 2019 erschienen. Header-Bild: Alexander Paul Englert