e-Tagebuch 31.12.23

An manchen tagen, wie vorgestern, es ist für mich unmöglich, zu sprechen: Wörter in Muttersprache würde ich dann wie Kröten auskotzen, auf meine Lieblingssprache auszuweichen empfinde ich als opportunistisch, gar feige. Unabdingbarkeit und Unmöglichkeit des Sprechens staut sich ein-zwei Tage, dann platz es aus mir heraus. Gut, wenn „helle Gutmenschlein“ mir über den Weg laufen. Je lieblicher die säuseln, desto wüster schimpfe ich. Mit denjenigen, die auch russisch sprechen, schalte ich hartes Surschyk ein, das habt ihr/wir davon. Dann werde ich müde, dann habe ich mich wieder aufgerafft, dann geht es wieder. Alltag, Feiertag. Kerzen anzünden? – Bitte. Heute koche ich nicht, nur Kleinigkeiten zubereiten, Tochter in die Stadt fahren, davor sich an ihrem Vorbereiten erfreuen, Sohn zum Tischdecken animieren, danach mit ihm Fondue essen. Das jetzige Jahr Revue passieren mag ich nicht – es war Scheisse genug. Das nächste Jahr beweihräuchern kann ich nicht – es wird bestimmt kompliziert. Es bleibt: hoffen und jeden Tag etwas Gutes tun, jeden Tag ein bisschen. Einen barmherzigen 2024 wünsche ich uns allen.

Veröffentlicht von

juliag

Julia Grinberg, Mitglied des „Salon Fluchtentier“. Zu hören bei Lesezimmer.de, zu lesen online bei: Fixpoetry, Verlagshaus Berlin, Signaturen, analog bei Seitenstechen (Homunculus Verlag), MosaikZeitschrift, außer.dem, All Over Heimat, OSTRAGEHEGE, Jahrbuch der Lyrik 2021. Debütband "kill-your-darlinge" ist 2019 erschienen. Header-Bild: Alexander Paul Englert