Versuch einer Waldjause

Die Pilzsaison hat noch nicht richtig angefangen, meine ganze Ausbeute bestand aus zwei kleinen Steinpilzen und einem Hexenröhrling. Den hätte ich stehen lassen sollen – Schnecken hatten sich seinen Fuß fast zu einem Drittel einverleibt, auch der Hut war angeknabbert. Aber nach vier Stunden im Wald wollte ich wenigstens diese Genugtuung mitnehmen; erst auf dem Rückweg sammelte ich die zwei Steinbabys. Versuch einer Waldjause weiterlesen

Journal einer Unzugehörigkeit. Anfang:

Zum ersten Mal bin ich mit vier von Zuhause ausgebüxt. Liebe hat mir keiner beigebracht. Zugehörigkeit spürte ich nie. Meine Gefühlswelt war mit Beklemmung und Neid ausgefüllt, vermengt mit den Wünschen, der Mutter alles recht zu machen und ein Einzelkind zu sein. Ich wollte bekommen, was ich sonst nie bekam, zum Beispiel Briefmarken mit Schmetterlingen. Journal einer Unzugehörigkeit. Anfang: weiterlesen

Warme Arktische Nächte. Rezension

„Also die Fragen. Es sind eher Sätze, die sich an der Schwelle zwischen Fragen und Behauptungen befinden, und wie kann es auch anders sein in dem Roman verschmelzen Erinnerung und Erschaffung der Vergangenheit durch Benennung. Tarnawsky schreibt ja nicht Tanzten Vater und Mutter?, nein, er schreibt Vater und Mutter tanzten?“ – als ob er sich nicht ganz sicher wäre, aber sich fast um jeden Preis mit dieser Frage selbst überzeugen will: ja, sie tanzten! Sie tanzten, sie zogen komplexe unbegreifliche Muster auf dem Untergrund des Fußbodens nach.
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100 Ansichten des Landes Nihon

3. Auf dieser Reise werde ich mich mehrmals von der Reisegruppe abseihen. Ich möchte mein absolutes Fremdsein physisch erspüren, der Sprache, die ich nicht Mal annähernd verstehe, lauschen, die radikale Andersartigkeit der Umgebung antasten, mich irgendwo in der Schwebe der U-Bahn absetzen. Ein Fremdkörper zu sein ist befreiend, danach sehne ich mich.

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100 ansichten des Landes Nihon

2. Inzwischen hat sich die Reisegruppe zusammengefunden. Wir gehen in den Korakuen-Garten. Er liegt mitten in Tokyo – das Klischee „pulsierende Metropole“ nicht vergessen! –, hier herrscht himmlische Ruh´. Konische Schneeschneider aus Stäben überstülpen breite Pranken der Kiefern, schützen sie im Winter vom Brechen unter dem feuchten Schneegewicht. Diese Schneeschneider sind 100 ansichten des Landes Nihon weiterlesen

100 Ansichten des Landes Nihon

  1. Am Tag der Anreise scheint die Sonne. Ich fühle mich matt, aber sich hinzulegen an meinem ersten goldenen Herbsttag in Japan, ist mir unmöglich. Ich betrachte Hieroglyphen an allerlei Schildern, klebe mit Blicken an Wolkenkratzern und an Frauen in Kimonos, lausche dem Tokyo-Sound, wundere mich über Einweg-Hotelgaben, begutachte japanische Geldscheine und Münzen – finde Scheine erhaben, Münzen ulkig. Kaufe im Conbini (Rund-um-die-Uhr-Laden) einen Kaffee und etwas, dass ich noch nicht definieren kann, schlendere nach der Kaffeepause weiter, erreiche das Kabuki-Theater und entscheide mich kurzer Hand, ein Ticket für den heutigen Abend zu kaufen.


e-Tagebuch 26.12.23

Was sagt uns die Landschaft? Etwa, dass Neujahr an der Türschwelle steht? Nein, die Landschaft sagt: Kinder, der Frühling kommet bald! ich schreite voran durch die getrockneten Wege, keine Sportler heute, dafür viele Hunde, ihre Herrchen und Frauchen an der Leine ziehend. Und große Familien hier und da, drei Generationen zusammen, gehen ihren Pflichten angestrengt nach, bemühen sich ums Miteinander. Heute bin ich langsam und kriege unfreiwillig mit, dass ihre Gespräche den Netzen ähneln, mehr Pausen, als Substanz.

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Гинко

гинко в один день уронило все листья. канареечно-желтые, они долго держались, трепеща, за прямое, как свечка, дерево. его пять ветвей вертикально молились небу, но видно что-то не сложилось там наверху, и одним туманным утром все эти канареечно-бумажные сердечки пали на холодный и мокрый асфальт. палисадник заштриховало густым слоем кадмия. Гинко weiterlesen

an dem tag, als ich zu meinem vater wollte

Als erstes wurde es unsinnig, sich gebührend aufzubereiten. Sogenannte Karriere wurde unsinnig, aber häusliche monotone Arbeit im Gegenteil – meditativ und Gleichgewicht aufrechterhaltend. Viele Verbindungen lösten sich angesichts ihrer absoluten Überflüssigkeit. Manche mussten zerrissen werden. Entzückender Konsum wurde lächerlich, wenn nicht peinlich. Bedeutungslosigkeit mehrte sich, wurde zum an dem tag, als ich zu meinem vater wollte weiterlesen